Edge Computing: Fakten und Mythen
Es ist an der Zeit, den sprichwörtlichen Reset-Knopf zu drücken und die längst überfällige Klarheit im Hinblick auf das Thema Edge Computing zu schaffen.
Wenn man 10 Personen um eine Definition von Edge Computing bittet, erhält man höchstwahrscheinlich 10 verschiedene Antworten.
Der Grund: Edge Computing ist – entgegen der weit verbreiteten Annahme – keine Technologie, sondern vielmehr ein Konzept bzw. eine Philosophie in Zusammenhang mit der Verwaltung und Nutzung von Daten.
… Edge Computing ist – entgegen der weit verbreiteten Annahme – keine Technologie, sondern vielmehr ein Konzept bzw. eine Philosophie in Zusammenhang mit der Verwaltung und Nutzung von Daten.
Was also ist Edge Computing?
Cloudflare definiert den Begriff folgendermaßen: „Edge Computing ist eine Philosophie im Bereich des Netzwerkbetriebs, die darauf abzielt, Daten möglichst nah an der Quelle zu verarbeiten, um Latenzzeiten und Bandbreitenauslastung zu reduzieren.“
Dieser Ansatz mag aus Kosten-, Geschwindigkeits- und Sicherheitsgesichtspunkten äußerst sinnvoll sein, doch leider läuft Edge Computing Gefahr, sich zur neuen „Blockchain“ im Bereich der Unternehmenstechnologie zu entwickeln und übermäßig hochgespielt, aber nur allzu selten wirklich eingesetzt zu werden. Marketingexperten und Analysten haben zahlreiche Unternehmen hinters Licht geführt und ihnen weisgemacht, jedes Unternehmen brauche unbedingt eine Edge-Strategie. Wir können Ihnen versichern: Das ist nicht der Fall.
Folglich ist es an der Zeit, den sprichwörtlichen Reset-Knopf zu drücken. Denn wenn sie richtig angegangen werden, können die Philosophie des Edge Computing und die damit einhergehenden Auswirkungen die Art und Weise, wie Unternehmen Daten einsetzen, von Grund auf revolutionieren.
Warum ist es für IT-Führungskräfte wichtig, den Hype rund um Edge Computing zu durchschauen?
Unternehmen generieren bereits jetzt riesige Datenmengen, die angesichts der steigenden Anzahl an internetfähigen Geräten (darunter viele, die lange Zeit nichts mit dem Internet am Hut hatten, wie etwa Zahnbürsten, Türklingeln, Kaffeekocher, Smart Speaker, Uhren und – man kennt die Horrorgeschichten – Entsafter) Jahr für Jahr exponentiell größer werden. Wie aus einem Bericht des World Economic Forum hervorgeht: „Die Welt produziert täglich 2,5 Trillionen Bytes und 90 % aller Daten überhaupt wurden in den letzten zwei Jahren generiert.“
Diese Entwicklung fand parallel zur zunehmenden Verbreitung hyperskalierbarer Cloud-Lösungen statt. Edge Computing löst moderne Cloud-Herausforderungen in Bezug auf die Migration und Verwaltung von Daten, einerseits damit möglichst kostengünstig der größtmögliche Nutzen aus ihnen geschöpft werden kann, und andererseits damit sie möglichst zeitnah verarbeitet und praktisch verwertet werden können.
Fassen wir die Vorteile von Edge kurz zusammen:
- Latenzzeiten werden reduziert, da es schneller und zuverlässiger ist, Daten an einen lokalen Point of Presence zu senden als an das Rechenzentrum eines Anbieters hyperskalierbarer Cloud-Lösungen.
- Die Bandbreitenauslastung und die damit verbundenen Kosten werden reduziert.
- Der Bedarf an umfassenden Server-Ressourcen und die damit verbundenen Kosten werden reduziert.
- Daten, die bisher nicht an ein zentrales Rechenzentrum übermittelt werden konnten, können nun analysiert werden, um neue Funktionen zu entwickeln oder Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Grundlagen des Edge Computing – ein Überblick
Um die Vorteile des Edge Computing in der Praxis auszuschöpfen, gilt es zunächst, die grundlegenden Aspekte der Philosophie zu definieren.
Gängige Anwendungsfälle für Edge Computing sind etwa der Einsatz von Sensoren in Fabriken oder im medizinischen Bereich, der Remote-Betrieb einer Ölpipeline oder die Installation von Überwachungskameras, die in der Lage sind, Sicherheitsbedrohungen zu erkennen. Die enorme Fülle an Daten, die von diesen Geräten generiert wird, bildet die Basis für zeitkritische Entscheidungen oder Handlungen. Es wäre schlicht und einfach keine geeignete, geschweige denn kosteneffiziente Lösung, all diese Daten zur Verarbeitung und Speicherung in die Cloud zu übertragen.
In Fällen wie diesen geht es darum, eine möglichst direkte Verbindung zwischen dem Gerät, das die Daten erzeugt, und der ersten (wenngleich nicht einzigen oder letzten) Instanz zu schaffen, die diese Daten in irgendeiner Weise verarbeitet.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die wichtigsten Komponenten eines Edge-Computing-Netzwerks wie folgt zusammenfassen:
- Public Cloud: Rechenzentren, die von Anbietern hyperskalierbarer Cloud-Lösungen betrieben werden. Trotz Hochverfügbarkeit und großer Stabilität zeichnen sich diese Rechenzeiten durch eine höhere Latenz aus.
- Compute Edge: ein kleines Rechenzentrum mit Server-Racks, das sich am gleichen Standort befindet wie die Geräte, die die Daten generieren. Es zeichnet sich durch eine geringere Latenz aus, jedoch sind Sie selbst für Zusammenstellung, Wartung und Sicherheit zuständig.
- Device Edge: eine Ansammlung von kleinen, unter Umständen geschützten Servern, die sich in unmittelbarer Nähe der Sensoren befinden, die die Daten generieren. Diese mitunter auch als Nano-Rechenzentrum bezeichnete Serveransammlung zeichnet sich durch einen geringen Bedarf an Rechenleistung und einen dementsprechend geringen Wartungsaufwand aus. Allerdings müssen bestimmte Analyse-Workloads unter Umständen teilweise in die Cloud verlagert werden.
- Sensor: Das Gerät, das die Daten generiert (und damit der Fokus dieses Beitrags). Wenn keine integrierte Rechenleistung verfügbar ist, müssen sämtliche Analysen über eine der anderen drei Komponenten des Edge-Computing-Netzwerks durchgeführt werden. Sofern integrierte Rechenleistung vorhanden ist (wie z. B. im Falle selbstfahrender Autos), muss diese unter Umständen erheblich sein, da das Gerät in der Regel eine große Fülle an Daten in Echtzeit verarbeitet und mit zentralisierten Diensten kommuniziert, um Standort-, Fehler- oder Kollisionsdaten auszutauschen. (Die Entwicklung schneller Datennetzwerke wie etwa 5G war eine wichtige Voraussetzung für Anwendungsfälle dieser Art.)
Beim Anblick dieser Liste wird deutlich, dass die meisten Geschäftsmodelle in der Regel mindestens zwei dieser Komponenten umfassen – nämlich die Cloud und ein weiteres. Dabei spielt es keine Rolle, ob man bei den einschlägigen Geschäftsmodellen von Edge Computing reden würde oder nicht. Es ist wenig produktiv, Edge Computing als unerlässliche Voraussetzung für ein gutes Geschäftsmodell zu betrachten oder darin einen inhärent und bedingungslos transformativen Ansatz zu sehen.
Stattdessen sollten Sie bei der Entwicklung einer Geschäftsstrategie in erster Linie der Frage nachgehen, welche Ziele Sie konkret verfolgen – und wie Sie Technologie anwenden können, um diese zu erreichen. Erliegen Sie nicht dem Irrglauben, um jeden Preis eine Edge-Computing-Strategie verfolgen zu müssen, wenn sie für Ihr Unternehmen nicht sinnvoll ist.
Stattdessen sollten Sie bei der Entwicklung einer Geschäftsstrategie in erster Linie der Frage nachgehen, welche Ziele Sie konkret verfolgen – und wie Sie Technologie anwenden können, um diese zu erreichen. Erliegen Sie nicht dem Irrglauben, um jeden Preis eine Edge-Computing-Strategie verfolgen zu müssen, wenn sie für Ihr Unternehmen nicht sinnvoll ist.
So können Sie ermitteln, welchen Stellenwert Edge Computing in Ihrem Unternehmen einnehmen sollte
Um zu ermitteln, inwiefern Ihr Unternehmen eine Edge-Computing-Philosophie in seine Technologiestrategie integrieren sollte, müssen Sie zunächst Ihre Datentypen identifizieren. Wie kritisch sind Ihre Daten? Sind sie zeitkritisch? In welchem Umfang erheben Sie Daten?
Anschließend gilt es, Ihren Bedarf an Rechenleistung zu ermitteln. Die Verarbeitung von Daten in der Cloud kann schnell zu einem kostspieligen Unterfangen werden. Dasselbe gilt auch für das Exportieren von Daten aus der Cloud oder die wiederholte Durchführung von Abfragen, sei es aufgrund anfänglicher Fehler oder sich verändernder Anforderungen. Fragen Sie sich also, ob Sie Ihre Daten wirklich an die Cloud übermitteln müssen? Sind die damit einhergehenden Kosten und Latenzzeiten für Ihren Anwendungsfall akzeptabel?
Hinzu kommt, dass Edge Computing mehr als nur eine Frage der Rechenleistung ist. Häufig geht es beispielsweise um die kurz- oder mittelfristige Speicherung von Daten zur Wiederverwendung. Insofern wollen Speicherlösung und -ort sorgfältig gewählt sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt (und einer, der unter Umständen einen kreativen Denkansatz erfordert) ist die Frage, ob es Ihrem Unternehmen und Ihren Kunden konkrete Vorteile bringt, wenn Sie Ihre Daten näher an der Quelle verarbeiten.
Und natürlich sollte auch das Thema Sicherheit wie immer nicht zu kurz kommen. Während eine gute Edge-Lösung genauso sicher ist wie jedes andere System, besteht das größte Risiko in der Zunahme an potenziellen Angriffsvektoren im Zuge der Verbreitung von Edge-Geräten. Die meisten Edge-spezifischen Sicherheitsanliegen sind auf nicht ordnungsgemäß implementierten bzw. verwalteten Code auf diesen Geräten zurückzuführen. Es gab bereits Fälle, in denen kompromittierte Edge-Geräte in Botnets gebündelt wurden, um z. B. DDoS-Angriffe durchzuführen. Deshalb sollte Sicherheit stets Ihre oberste Priorität sein – genau wie bei der Arbeit mit jeder anderen Technologie.
An dieser Stelle jedoch eine kurze Warnung: Bei Diensten, die ohne triftigen Grund über dezentrale Netzwerke betrieben werden, handelt es sich nicht um eine ausgefallene Edge-Computing-Strategie. In solchen Fällen haben Sie es einfach mit den falschen Dingen am falschen Platz zu tun. Was meine ich damit? Stellen Sie sich eine umfangreiche Intranet-Seite vor, die klein angefangen hat, mittlerweile aber wichtige Unterlagen enthält. Eine solche Seite sollte nicht über die lokalen Server eines Unternehmens, sondern ganz klar über eine Cloud-Lösung betrieben werden – hier sind Redundanz und Zentralisierung gefragt. Das Gleiche gilt für Mailserver und die meisten Arten von Objektspeichern.
Edge Computing und die Kunst des Hinterfragens
Wie bereits am Anfang dieses Artikels erwähnt, ist Edge Computing in erster Linie eine Philosophie. Und Philosophien entstehen oftmals, indem man Fragen stellt. Im Hinblick auf Edge Computing sollte jedes Unternehmen sich selbst fragen, ob sich ihre Daten am richtigen Ort befinden, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie ihre Edge-Computing-Strategie konkret aussehen soll.
Angesichts zunehmender Datenmengen beginnen immer mehr Unternehmen, sich Gedanken darüber zu machen, wo sie ihre Daten möglichst kostengünstig und effektiv speichern können. Und die Bedeutung einer soliden Datenstrategie nimmt angesichts der andauernden IoT-Revolution, in deren Zuge die Zahl internetfähiger Geräte Tag für Tag wächst, weiter zu. Infolgedessen ist der Bedarf an Diensten zur Datenverarbeitung und -speicherung förmlich explodiert.
Wenn auch Sie zu diesen Unternehmen zählen, sollten Sie zunächst die richtigen Fragen stellen, um zu bestimmen, wie – und wo – Sie das Thema Datenverarbeitung angehen sollten.
Die Antwort lautet nicht immer Edge Computing – und das ist völlig in Ordnung, ganz egal, ob Ihnen jemand etwas anderes einzureden versucht.
Haben Sie es satt, durch kurzlebige Technologietrends zu navigieren und oberflächlichen Hypes auszuweichen?
About the Authors
Consulting Architect
Ed Randall
With nearly 20 years of managed-services experience, Ed Randall has thrived across a variety of IT sectors, from financial services and retail ecommerce to defense and education. With a background in Linux, Ed specializes in operating systems, virtualization, networking and hyperscale cloud platforms. He has also developed a passion for strategy development that facilitates cost optimization, end-to-end supportability and the implementation of the proper technological solutions to drive business outcomes and meet organizational goals As a Consulting Cloud Architect on the Rackspace Technology Professional Services Team, Ed brings his considerable experience to bear in the financial services space to help drive internal adoption of Google Cloud Platform. Outside of work, Ed enjoys reading, mountain biking, working on technology projects and spending time with his two young daughters.
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